Er gilt als sperrig, schwer zugänglich und wenig marktgerecht: Eigentlich genügend Abschreckungspotential, ein Buch des Autors Hans Erich Nossack (1901 – 1977) gar nicht erst in die Hand zu nehmen, der denn auch durch Sartres Vermittlung und Veröffentlichungen in Frankreich bekannter war als in Deutschland (1973 erhielt er den Prix Pour le Mérite). Nossack nicht zu lesen hieße allerdings, einen der größten deutschen Prosaisten des vergangenen Jahrhunderts zu verpassen.
Heute ist in der literarischen Öffentlichkeit kaum mehr die Rede von ihm. Schade, denn man muss sich weit umsehen, um einen Erzähler solchen Ranges zu finden: Freilich, mit schnellem Querlesen ist es bei ihm nicht getan, der so lange Zeit ein „Doppelleben“ als Hamburger Kaufmann und Schriftsteller führte. Man muss sich einlassen wollen auf seine leise bohrend auf den Punkt geschriebene Prosa und den hintergründigen Humor.
Seine Jugend als Kaufmannssohn in Hamburg hätte unbeschwert sein können, wäre er nicht seit seinem 6. Lebensjahr von seiner Mutter als ein unehrliches und diebisches Wesen hingestellt worden, wie er 1952 im Tagebuch festhält. Seine 1922 oder 1923 im Korps erworbenen Schmisse lassen den oft an sich selbst zweifelnden und wenig „betriebskonformen“ Autor arrogant erscheinen – was er nie war. Seine Korpszeit in Jena und die Folgen dieser Jahre, nachzulesen in der großen Erzählung „Die Schalttafel“, sind ein einziger Irrtum, wie Nossack allmählich feststellt. Rigoros – für ihn selbst überraschend schnell – kehrt er seinem damaligen Leben den Rücken, verzichtet auf alle finanziellen Zuwendungen von zu Hause und stellt sich auf die eigenen Füße: „Fast wäre ich ins Kriminelle abgesunken.“ (Tagebucheintrag von 1963). Von 1930 bis 1933 ist er aktives KPD-Mitglied, in seiner Wohnung geht der namhafte, 1936 ermordete KPD-Politiker Edgar André ein und aus…
Und immer schreibt Nossack: Gedichte und Theaterstücke, im Kontor und nachts zu Hause. Für die Schublade, denn an Veröffentlichung ist während der Nazizeit nicht zu denken. 1943 verliert er beim Bombardement Hamburgs alles inklusive seiner Manuskripte. Aber nichts kann ihn vom Schreiben abhalten. Wenige Monate nach den Luftangriffen lebt das Tagebuch wieder auf.
Nossacks Schriftstellerexistenz wird lebenslang subventioniert von einem Gönner, noch 1973 notiert er eine „sehr magere Abrechnung des Verlags“: „Betrüblich! Vom literarischen Einkommen könnte man nicht leben, das steht fest“, und sogar wenige Tage vor seinem Tod schreibt er als nunmehr international bekannter Autor: „Da hat man nun einen Haufen Bücher geschrieben und kann nicht davon leben, sondern ist weiter auf die Güte von K.B. [d.i. Kurt Bösch, Industrieller und Mäzen – U.F.] angewiesen.“
Nossack lesen ist ein „Aufbruch ins Nicht-Versicherbare“ – so nennt es der Angeklagte in der 1959 erschienen Unmöglichen Beweisaufnahme; es ist ein Einlassen auf eine meisterliche monologische Prosa, die immer mit Wirklichkeit (nicht zu verwechseln mit Realismus!) zu tun hat. Eine Wirklichkeit, die sich bis heute nicht verändert hat – was ein garantierter „Veraltungsschutz“ für Nossacks Werke ist.
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Hans Erich Nossack im ZVAB
Gedichte (1947)
Nekyia Bericht eines Überlebenden (1947)
Interview mit dem Tode (1948)
Die Rotte Kain (1949)
Die Begnadigung (1955)
Der Neugierige (1955)
Spätestens im November (1955)
Die Hauptprobe (1956)
Spirale. Roman einer schlaflosen Nacht. (1956)
Über den Einsatz (1956)
Begegnung im Vorraum (1958)
Der jüngere Bruder. Roman. (1958)
Freizeitliteratur. Eine Fastenpredigt. (1959)
Unmögliche Beweisaufnahme (1959)
Hans Henny Jahnn. Rede am Grabe. (1960)
Nach dem letzten Aufstand. Ein Bericht. (1961)
Der Untergang (1963)
Begegnung im Vorraum. Erzählungen. (1963)
Menschliches Versagen. Rede bei der Verleihung des Wilhelm-Raabe-Preises. (1963)
Ein Sonderfall Schauspiel. (1963)
Das kennt man. Erzählung. (1964)
Sechs Etüden (1964)
Das Testament des Lucius Eurinus (1964)
Das Mal und andere Erzählungen (1965)
Der Fall d’Arthez. Roman. (1968)
Dem unbekannten Sieger. Roman. (1969)
Pseudoautobiographische Glossen (1971)
Die gestohlene Melodie. Roman. (1972)
Bereitschaftsdienst. Bericht über eine Epidemie. (1973)
Der König geht ins Kino. Eine Geschichte von Hans Erich Nossack mit Bildern von Arturo Heras. (1974)
Ein glücklicher Mensch. Erinnerungen an Aporée. (1975)
Um es kurz zu machen. Miniaturen. (1975)
Dieser Andere. Ein Lesebuch mit Briefen, Gedichten, Prosa. (1976)
Vier Etüden (1979)
Aus den Akten der Kanzlei Seiner Exzellenz des Herrn Premierministers Tod.
Glossen und Miniaturen. (1987)
Die Erzählungen (1987)
Die Tagebücher 1943-1977. Hg. von Gabriele Söhling. Nachw. von Norbert Miller [3 Bde.] (1997)
Söhling, Gabriele (Hg.): Hans Erich Nossack. Geben Sie bald wieder ein Lebenszeichen. Briefwechsel 1943- 1956. Band I. Briefe und Band II Kommentar. (2001)
Aus aufgegebenen Werken. Sonderband Bibliothek Suhrkamp (1968) – war nicht für den Handel bestimmt
Eine außerordentlich informative Seite über Nossack: http://www2.adwmainz.de/nossack/Nossack.htm
Wer sich auf Spurensuche begeben will, kann Nossacks Wohnorten hier nachreisen: http://www2.adwmainz.de/nossack/CDHamburg/Start.htm